Bei Arzneimitteln handelt es sich um hochkomplexe Produkte mit zum Teil erheblichen Wirkungen auf den menschlichen Körper. Angesichts der aktuellen Corona-Pandemie fragen sich deshalb viele Menschen, wie Impfstoffe und andere Medikamente eigentlich hergestellt werden und wer für ihre Wirksamkeit und Ungefährlichkeit garantiert. In diesem Artikel lernen Sie die wichtigsten Teilbereiche pharmazeutischer Forschung und Entwicklung kennen und erfahren, wie der Weg von der Wirkstoffsuche bis zum flächendeckenden Einsatz eines neuen Medikaments aussieht.
Der Ausgangspunkt der Medikamentenentwicklung
Arzneimittelprojekte werden aus verschiedensten Gründen initiiert. Zu den wichtigsten gehört dabei sicherlich das Auftreten neuartiger Krankheitserreger, das einen großen Bedarf nach wirksamen Medikamenten nach sich ziehen kann. Immer wieder werden aberauch Forschungsprojekte angestoßen, weilWirkstoffe entdeckt werden, die nebenwirkungsärmersind alsbisher verwendete Präparate. Auch Fortschritte in der Grundlagenforschung können wichtige Impulse für die Entwicklung neuer Medikamenteauslösen.
Wird die Notwendigkeit eines neuen Präparats festgestellt, läuft ein Prozess an, der viele hundert Schritte umfasst, im Schnitt mehr als 13 Jahre in Anspruch nimmt und eine Vielzahl von Wissenschaftlern unterschiedlichster Fachrichtungen involviert. Im Folgenden lernen Sie seine wichtigsten Abläufe kennen.
Wo die pharmazeutische Forschung ansetzt
Der zentrale Bestandteil eines jeden Medikaments ist sein Wirkstoff. Dabei handelt es sich umeine chemische Verbindung, die eine heilende oder lindernde Wirkung im Körper auslöst. Die Herausforderung für Pharmaforscher besteht darin, mit dem Wirkstoff genau auf den Teil des Körpers einzuwirken, der für die Krankheit verantwortlich ist.
Das ist deshalb so problematisch, weil an Krankheiten im Normalfall viele verschiedene Moleküle (Targets) beteiligt sind und zunächst einmal diejenigen gefunden werden müssen, an denen potenzielle Wirkstoffe effektiv ansetzen können. Aussichtsreiche Kandidaten werden auf dem Weg der Forschung gefunden, aber auch in Patentschriften und wissenschaftlicher Literatur eruiert.
Die Suche nach dem geeigneten Wirkstoff
Sobald ein Target gefunden ist, suchen die Forscher nach Wirkstoffen, die darauf einwirken können. Einwirken bedeutet, dass sich die Moleküle des Wirkstoffs an die Moleküle des Targets lagern und ihre Funktion einschränken bzw. aktivieren. Wichtig sind dabei vor allem folgende Eigenschaften:
- Der Wirkstoff muss die richtige Stelle am Körper erreichen können.
- Er muss sich mit den entsprechenden Molekülen verbinden und wunschgemäß auf sie einwirken können.
- Er sollte auch im Falle einer Überdosierung nicht giftig sein.
- Er muss vom Körper wieder abgebaut werden können.
- Nebenwirkungen und positive Effekte müssen in einem sinnvollen Verhältnis stehen.
- Er muss sich in großem Umfang ökonomisch herstellen lassen.
Bei der Suche nach einem neuen Wirkstoff besteht der erste Schritt darin, Eigenschaften festzulegen, die seine Moleküle aufweisen sollten. Dabei können die Forscher unterschiedlich vorgehen.
- Ligand-based Drug Design
Bei diesem Verfahren prüfen die Forscher, ob im Körper Moleküle vorhanden sind, die sich an das Target binden können. Ist dies der Fall, kann ihre Form für den Wirkstoff nachgeahmt werden.
- High-Throughput-Screening (HTS)
Bei diesem Verfahren prüft man Hunderttausende von Substanzen dahingehend, ob sie sich an das Target binden können.
- Virtual Screening
Beim Virtual Screening bildet man das Target und die Substanzen, die man testen möchte, am Computer nach und prüft, wie sie aufeinander einwirken.
Als Ergebnis dieser Untersuchungen ermitteln die Wissenschaftler im Idealfall mehrere Substanzen, die sich an das Target binden können (Hits). Diese werden im Anschluss auf Gemeinsamkeiten und weitere Eigenschaften hin untersucht. Dabei spielen die möglichst präzise Einwirkung auf das Target, aber auch Faktoren wie die Wasserlöslichkeit eine Rolle.
Im Anschluss werden die Substanzen über mehrere Jahre Stück für Stück modifiziert, sodass sie allen Anforderungen genügen. Dabei werden sie immer wieder um bestimmte Atome ergänzt oder reduziert und anschließend umfassend getestet. Haben sich die Eigenschaften verbessert, wird auf dieser Grundlage weitergeforscht.
Der Weg zur Zulassung – die präklinische Entwicklung
Wenn die Wissenschaftler einigen der entwickelten Substanzen die Zulassung zutrauen, melden sie sie zum Patent an. Anschließend kommen sie in die vorklinische Entwicklung. Dabei werden vor allem folgende Fragen geklärt:
- Ist der Wirkstoff giftig? Wenn ja, ab welcher Konzentration?
- Schädigt der Wirkstoff Embryonen?
- Ruft der Wirkstoff Veränderungen des Erbguts hervor?
Einige der erforderlichen Tests können im Reagenzglas erfolgen, andere müssen an einem Gesamtorganismus durchgeführt werden. Deshalb müssen bestimmte Versuche von Gesetzes wegen mit mindestens zwei Tierarten durchgeführt werden. Nur die Wirkstoffe, die sich bei Tierversuchen bewährt haben, kommen für die Nutzung am Menschen infrage.
Eine erfolgreiche Absolvierung der vorklinischen Entwicklung ist eine Voraussetzung dafür, dass der Wirkstoff schließlich auch am Menschen getestet werden kann.Üblicherweise sind am Ende eines präklinischen Tests bereits mehr als fünf Jahre seit dem Projektbeginn vergangen.
Erprobung am Menschen – die klinische Entwicklung
Wurden alle vorklinischen Tests erfolgreich absolviert, kann der Wirkstoff erstmals bei Menschen angewendet werden. Damit beginnen die klinischen Studien. Sie sind der letzte Schritt vor der Zulassung und untergliedern sich in drei Phasen:
- Phase I – Erprobung mit wenigen gesunden Menschen (Probanden)
- Phase II – Erprobung mit wenigen kranken Menschen
- Phase III – Erprobung mit vielen kranken Menschen
Die Pharma-Unternehmen führen ihre Studien entweder selbst durch oder beauftragen damit Clinical Research Organisationen (CRO) wie einige Analytik Labore. Diese Firmen sind auf pharmazeutische Studien spezialisiert und übernehmen in enger Abstimmung mit dem Auftraggeber die Organisation, die Durchführung und bei Bedarf auch die Auswertung. Darüber hinaus nehmen CRO Prüfungen von Rohstoffen, Hilfsstoffen und biologischen Präparaten im Rahmen der Qualitätssicherung vor. Bewertungsgrundlage sind dabei die offiziellen Arzneibücher (Pharmakopöen). Darin sind alle pharmazeutischen Regeln über die Qualität, Prüfung, Lagerung und Bezeichnung von Arzneimitteln und die bei ihrer Herstellung und Prüfung genutzten Stoffe, Materialien und Methoden verbindlich festgehalten.
Voraussetzung für die Studien ist zunächst eine Zustimmung der zuständigen Behörden. In Deutschland ist dies das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, in Europa die Europäische Arzneimittelagentur. Weiterhin müssen dieaus Medizinern, Juristen, Theologen und Laien bestehenden zuständigen Ethik-Kommissionen ihr Einverständnis erklären. Gestützt auf die Untersuchungen wägen sie ab, ob die Studien unter ethischer, medizinischer und rechtlicher Sicht vertretbar sind.
Die Zulassung des neuen Medikaments
Wenn alle Tests und Studien erfolgreich waren, kann der Hersteller die Zulassung des neuen Medikaments bei den Behörden beantragen. Dies geschieht bei zentralen Zulassungen innerhalb der EU bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA (European Medicines Agency) und bei Zulassungen innerhalb Deutschlands beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder beim Paul-Ehrlich-Institut.
Zusammen mit dem Antrag auf Zulassung muss das Unternehmen auch alle Unterlagen über die technische Qualität des Arzneimittels und alle präklinischen und klinischen Studienergebnisse einreichen. Ausgedruckt wären das mehr als 500.000 Seiten, weshalb man die Anträge und alle Daten mittlerweile in elektronischer Form übermittelt.
Die Zulassungsbehörden prüfen anschließend die Daten und klären bei Bedarf offene Fragen mit dem Hersteller. Die Bearbeitung des Antrags dauert in der Regel 13 Monate. Ist die Zulassung erteilt, kann der Hersteller das Präparat Ärzten und Patienten zur Verfügung stellen.
Nach der Zulassung der Medikamente
Ist das Medikament zugelassen und verfügbar, hört die Forschungsarbeit aber noch nicht auf. Auch jetzt beobachten Hersteller und Behörden die Anwendung durch den Patienten noch genau. Schließlich kann es seltene Nebenwirkungen geben, die im Rahmen der zeitlich beschränkten Studien nicht erkannt werden konnten. In diesen Fällen teilen die Hersteller ihre Beobachtungen den Behörden mit, die über ein Schnellwarnsystem wiederum Ärzte und Apotheken informieren.
Parallel dazu werden im Rahmen der Anschlussstudien auch die Wirkungen des Präparats auf spezielle Patientengruppen mit Vorerkrankungen untersucht, um so ein möglichst transparentes Bild seines Wirkungsspektrums zu zeichnen.